Familie Samuel Jeselsohn
Samuel und Amalie („Maile“) Jeselsohn wohnten in der Hauptstraße 18
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Die Stolpersteine
Ihr Leben und Wirken [1][Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Samuel Max Jeselsohn wurde am 20.10.1870 in Neckarbischofsheim als ältester Sohn von Max und Lenchen Jeselsohn in der Hauptstraße 20 geboren. Die Familie Jeselsohn war eine alteingesessene Familie, die seit über 300 Jahren als angesehene Kaufleute das Leben in der Stadt prägte. Dadurch, dass er nach dem Tod seines Vaters Max 1913 früh in das elterliche Geschäft mit einsteigen musste, konnte er nicht studieren.
Im Mai 1901 heiratete Samuel Jeselsohn die am 03.08.1880 geborene Amalie „Maile“ Zucker aus Aub bei Würzburg. Die Eheleute zogen nun in das Haus in der Hauptstraße 18. Aus dieser Ehe gingen 4 Kinder hervor, wobei das 1.Kind bei der Geburt starb. Die Eltern waren sehr stolz auf ihre 3 Söhne Albert, Sigmund und Ludwig.
In seinen Erinnerungen schreibt Dr. Sigmund Jeselsohn: „So war für ihn (Samuel Jeselsohn) das Finden meiner Mutter ein besonderer Glücksfall. … In meiner Mutter hatte mein Vater eine ideale Partnerin für die Führung eines solchen (Anm.: streng orthodoxen) jüdischen Hauses gefunden, was zu jener Zeit sicherlich nicht leicht war.“
Ein tiefer Einschnitt war der 1.Weltkrieg. Sowohl Samuel, mit fast 45 Jahren, als auch sein Bruder Theodor wurden zum Militär eingezogen. Amalie Jeselsohn musste so während des 1.Weltkrieges zusammen mit ihrer Schwägerin Lisette allein die beiden Geschäfte in der Hauptstraße 18 und 20 führen.
Dr. Sigmund Jeselsohn beschreibt seine Mutter als „von kleiner und zierlicher Gestalt“, „energisch und flink, voll von gesundem Menschenverstand und enorm kontaktfreudig.“
Samuel Jeselsohn war nicht nur als Geschäftsmann sehr erfolgreich, er war auch in vielen Neckarbischofsheimer Vereinen auf ehrenamtlicher Ebene aktiv.
So trat er am 04.11.1894 dem Kriegerverein bei. In der Generalversammlung vom 18.01.1914 wurde er als Verwaltungsratsmitglied gewählt und später für die 25 jährige Mitgliedschaft geehrt. Samuel Jeselsohn war immer stolz im 1.Weltkrieg als Unteroffizier für sein Vaterland gedient zu haben. Mit der Machtergreifung der Nazis1933 trat er – wohl aufgrund politischen Drucks – aus dem Kriegerverein aus.
Als langjähriges Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr,1933 für 40-jährige Mitgliedschaft geehrt, führte er von 1900 bis 1935 „ununterbrochen mit größter Sorgfalt“ das Protokollbuch. Hier findet sich am 6.Mai 1935 ein letzter Eintrag: „Mit dem heutigen Tag übergibt der unterzeichnete Kaufmann Samuel Jeselsohn, nachdem er seit dem 24.Januar 1900 das Schriftführeramt geführt hatte, die Dienstgeschäfte seinem Nachfolger Heinrich Arnold, Metzgermeister und Gastwirt zum Ritter. Samuel Jeselsohn.“ Als Nachfolger seines Vaters Max und seines Großvaters Samuel führte er auch ehrenamtlich die Kassengeschäfte des Neckarbischofsheimer Actienbades – ein öffentliches Wannenbad in der Allee.
Außerdem muss Samuel Jeselsohn auch einige Jahre Stadtverordneter der Stadt Neckarbischofsheim gewesen sein, wie im Bericht über das 100-jährige Firmenjubiläum zu lesen ist. Auf den politischen Weitblick und die Hartnäckigkeit von Samuel Jeselsohn ist es zurückzuführen, dass in Neckarbischofsheim die Realschule nicht wie bis vor dem 1.Weltkrieg nach der 5.Klasse endete, sondern dass im Herbst 1919 zum ersten Mal eine 6.Klasse – die Untersekunda – in Neckarbischofsheim eingeführt wurde. Die Eltern der Schüler erklärten sich damals bereit, die Kosten für diese 6.Klasse zu übernehmen. Die Abschlussprüfungen zum „Einjährigen“ (= Mittlere Reife) musste diese Klasse aber noch in Sinsheim ablegen. Aus dieser Schule entstand später dann das Adolf – Schmitthenner – Gymnasium.
Samuel Jeselsohn leitete mehr als 25 Jahre die jüdische Gemeinde – oder wie er sie nannte:“unsere heilige Gemeinde“ in Neckarbischofsheim. Er war dabei wegen seiner Gelehrsamkeit weit über Neckarbischofsheim hinaus bekannt und geachtet. Schon in jungen Jahren war er ein Führer des religiösen Judentums in Baden und einer der Gründer und Vorstandsmitglied des „Vereins zur Wahrung der Interessen des gesetzestreuen Judentums in Baden“.
Trotz der schweren Nachkriegsjahre mit der Inflation 1923 konnten die Familien Samuel und Theodor Jeselsohn 1932 ihr 100-jähriges Firmeenjubiläum feiern.
Wie beliebt und geachtet Samuel und sein Bruder Theodor Jeselsohn als Geschäftsleute gewesen sein müssen, kann man im „Volksboten“ - heute wäre es die RNZ – nachlesen.
Mit der Machtergreifung 1933 durch die Nationalsozialisten veränderte sich das Leben der Familie Jeselsohn schlagartig und ihr Leben wurde immer schwerer. Samuel Jeselsohn, aber auch seine Frau Amalie wurden aus allen ihren Ehrenämtern gedrängt.
In einem Brief der Gräfin von Helmstatt – Strachwitz an Amalie Jeselsohn vom 16.November 1935 schreibt diese: „Geehrte Frau Jeselsohn! Aus den Zeitverhältnissen heraus verstehe ich vollständig Ihren Austritt aus dem Frauenverein u. Ihrer hiesigen Glaubensgenossinnen. Aber ich bedaure für den Verein u. auch für mich selbst Ihren Austritt ungemein. Der Frauenverein wurde seinerseits durch die gemeinsame Arbeit der drei Confessionen gegründet u. hat seit dem, ohne je die geringste Reibung, gearbeitet. Der Verein hatte stets eine Israelitin in seinem Vorstand, deren Urteil und Wort uns stets in aller selbstredenden Unvoreingenommenheit wertvoll war u. gern gehört wurde. Bei allen Extragelegenheiten waren die israelitischen Vereinsmitglieder immer hilfsbereit u. gebefreudig. Man denke nur an die treue Mithilfe u. Bethätigung in den Kriegsjahren. Ihrer aller treue, selbstlose Mitarbeit im hiesigen Frauenverein wird, zumindest so lange ich noch dabei bin, nicht umsonst gewesen sein u. in gutem Andenken bleiben. Bitte sagen Sie das den Frauen die nun ausscheiden u. glauben Sie das selbst bitte auch. Mit aufrichtigem Bedauern, daß die Jetztzeit Ihren Schritt bedingt, grüßt Sie Alle freundlichst Gräfin von Helmstatt – Strachwitz
Alle drei Söhne emigrierten sehr bald nach der Machtergreifung 1933 aus Deutschland. Samuel und Amalie Jeselsohn besuchten Ende 1937 ihren Sohn Sigmund in Palästina. Es müssen für Samuel Jeselsohn und seine Frau schöne Tage gewesen sein. Er schreibt: „Wir kehrten mit großer Befriedigung über das Gesehene glücklich wieder heim.“ Trotz der inständigen Bitten ihrer Kinder reisten sie dennoch nach Deutschland zurück, „in der Meinung dort ihren Lebensabend verbringen zu können“ (Dr. Sigmund Jeselsohn).
Doch schon ein Jahr später wurde Samuel Jeselsohn am Morgen des 10.Novembers 1938 kurz nach 6 Uhr von einem Gendarmen aus dem Bett gerufen. Man zwang ihn die Synagogenschlüssel herauszugeben. Dann musste er mitansehen, wie die Synagoge und auch die Judenschule in der Alten Rathausgasse zerstört, der Thoraschrein mit einer schweren Axt demoliert und die Thorarollen geschändet wurden.
Er wurde zusammen mit dem jüdischen Lehrer Jakob Bloch und dem Arzt Dr. Georg Hamburger verhaftet, wurde aber aufgrund seines hohen Alters am Staatsbahnhof Neckarbischofsheim wieder nach Hause geschickt. Sein Bericht, verfasst in der Emigration in Palästina, ist ein eindrucksvolles Dokument der Geschehnisse um den 9.November 1938. Samuel Jeselsohn machte nach der Zerstörung der Synagoge sein Ladengeschäft nicht mehr auf und verkaufte 2 Tage später sein gesamtes Warenlager an einen Nichtjuden (Kaufmann Karl Müller).
Am 09.02.1939 – „nach vielen Laufereien und Mühen“ – konnten Samuel und Amalie Jeselsohn sowie sein Bruder Theodor und dessen Frau Lisette Deutschland gerade noch rechtzeitig über Basel und Triest nach Tel Aviv verlassen, wo sie von ihren Kindern empfangen wurden. Nach ihrer erzwungenen Emigration lebten sie bei ihren Kindern und Enkelkindern in Tel Aviv. Amalie Jeselsohn („Oma Maile“) starb dort auf den Tag genau 5 Jahre vor ihrem Mann am 07.01.1950. Samuel Jeselsohn starb am 07.01.1955 in Tel Aviv.
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Rechercheergebnisse von: Adolf-Schmitthenner-Gymnasium, Neckarbischofsheim, Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“, Realschule Waibstadt, Verein für Heimatpflege e.V., Neckarbischofsheim, SPD – Ortverein Neckarbischofsheim, Verein „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau e.V.“, veröffentlicht in einem Flyer zur Gedenkveranstaltung zum 84. Jahrestag der Zerstörung der Synagoge in Neckarbischofsheim am 9. November 2022