Die Wildbannurkunde von 988

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Am 1. Januar 1988 fand als Eröffnung des Jubiläumsjahres „1000 Jahre Neckarbischofsheim" ein Empfang im Rittersaal des Alten Schlosses statt. Im Rahmen dieses Empfangs hielt Alfred Klump einen Vortrag über die Wildbannurkunde von 988, der hier wiedergegeben ist:

Das Urkundenoriginal ist uns nicht erhalten, aber der lateinische Originaltext, und zwar in einem sogenannten Kopialbuch[1] von 11501. Einzusehen ist unser lateinischer Urkundentext in der Sammlung „Documenta Germanica Diplomatica", Otto III./43, in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe[2].

Nun zum Inhalt der Urkunde und zu ihren zum Teil schwierigen politischhistorischen Hintergründen.

In der Urkunde heißt es, dass Otto III. dem Wormser Bischof Hildibald den „Königsbann" in den Wäldern um die Stadt Wimpfen und das Dorf Bischofsheim übergeben habe[3] und dass Hildibald die dann im einzelnen beschriebenen Wälder „zum Forst erklärt" habe. Was ist damit gemeint?

Nun, im Althochdeutschen bezeichnete das Wort „forst" solchen Wald, der allein dem König zur Jagd, zur Holznutzung und zur Rodung vorbehalten war - im Gegensatz zum bäuerlichen Markwald. Statt „Forst" könnte man auch „Königsbannwald" sagen, d.h. alle Personen außer dem König waren hinsichtlich der genannten Rechte aus solchem Wald verbannt. Man denke hier auch den modernen Begriff „Bannmeile" und andererseits an die Tatsache, dass der König prinzipiell der oberste Grundherr und der oberste Rechtsträger war. So gehörte eben auch das Jagdrecht grundsätzlich zu den Regalien[4], d.h. Königsrechten.

Aufkommende Fragen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es ergeben sich nun aber weitere Fragen:

  1. Frage: Wie kam der Wormser Bischof Hildibald kompetenzmäßig dazu, unsere Urkunde mitzubeglaubigen? Anders gefragt: Wieso erscheint dieser darin in zweierlei Funktionen - als Beschenkter und gleichzeitig als Mitbeglaubiger, ja wahrscheinlich sogar als Hauptbeglaubiger? Dazu zwei Zwischenerläuterungen:
    1. Der Namenszug des Königs dürfte sich nicht unter dem Urkundentext befunden haben, sondern - wie üblich - nur das Herrschermonogramm mit einem kleinen Strichelchen des Königs, dem sogenannten Vollziehungsstrich.
    2. Die am Schluß genannte Gegenzeichnung durch Hildibald darf nicht als Empfangsbestätigung aufgefaßt werden. Dergleichen war gänzlich unüblich und wäre auch barer Unsinn gewesen, da Hildibald die Urkunde natürlich ausgehändigt bekam. Vor allem aber heißt es dort ausdrücklich, dass Hildibald statt des Erzbischofs Willigis unterzeichnete.
  2. Frage: Aufgrund welcher Kompetenz und warum überhaupt erklärte Hildibald die genannten Wälder zum Königswald, obwohl er sie doch für sich selber wollte?
  3. Frage: Warum die beachtliche Ausdehnung des geschenkten Jagdgebietes?
  4. und zum Teil schwerste Frage: Warum bezog sich die Schenkung ausgerechnet auf unsere Region?

Die Antworten auf die drei ersten Fragen ergeben sich teilweise aus einem einzigen Wort der Urkunde, doch liest man leicht darüber hinweg oder übersieht seine volle Bedeutung. Ich will das Gemeinte einmal etwas "modern" ausdrücken: Hildibald war nicht nur ein Bischof unter vielen, sondern "Reichskanzler" - obwohl formal der Erzkanzler, Erzbischof Willigis von Mainz, höheren Ranges war. Aber Hildibald war Kanzler am Hofe, der Cancelarius, ja offensichtlich die "raue Eminenz" jener Reichsregierung. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass unsere Urkunde weder von der Kaiserin noch vom genannten Erzkanzler beglaubigt wurde, was normalerweise zu erwarten wäre.

Die herausgehobene Kanzlerschaft Hildibalds[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie erklärt sich diese herausgehobene Kanzlerschaft Hildibalds? Dazu muß man etwas ausholen:

Die Zeit des Regierungswechsels von Otto II. zu Otto III. war äußerst turbulent. Im Reich herrschte Chaos durch Machtkämpfe um die Thronfolge. Dies kam so:

Kaiser Otto II., Vater Ottos III., starb auf einem Italienzug gegen die von Sizilien aus nach Unteritalien eingedrungenen "Ungläubigen" (Sarazenen) am 7. Dezember 983 im Alter von nur 28 Jahren in Rom an den Folgen einer Malaria und der gegen sie angewandten Mittel. Otto III. war aber damals erst 3 1/2 Jahr alt, also unmündig und regierungsunfähig. Allerdings hatte ihn sein Vater, als hätte dieser seinen nahen Tod vorausgeahnt, auf einem von ihm einberufenen Reichstag in Verona durch die deutschen Fürsten bereits zum König wählen lassen, nach zähen Verhandlungen mit den Fürsten und gegen das Zugeständnis, diesen den kleinen Otto zur Erziehung zu übergeben. Erzbischof Willigis brachte dann Otto III. nach Deutschland, wo dieser - noch nach Weisung des Vaters - am Weihnachtstag 983 in Aachen von den beiden angesehensten Geistlichen der Königreiche Deutschland und Italien, von Willigis und dem Erzbischof Johannes von Ravenna, nun auch bereits zum König gesalbt und gekrönt wurde. Als aber dann die Nachricht vom Tode des Kaisers nach Deutschland gelangte, ließ der Bischof von Utrecht den von ihm auf kaiserlichen Befehl gefangen gehaltenen und selbst nach dem Thron strebenden Bayernherzog Heinrich den Zänker widerrechtlich frei, wohl weil dieser Bischof dem ottonischen Herrscherhaus nicht wohlgesinnt war. Heinrich der Zänker hatte sich dreimal gegen Kaiser Otto II., einen Vetter, erhoben, war deswegen vom Kaiser abgesetzt und wiederholt von einem Reichsgericht und erneut vom Reichstag in Verona zur Haft verurteilt worden. Nach seiner Freilassung nun hielt er seine große Stunde für gekommen. Er ließ sich vom Kölner Erzbischof Warin, dem damaligen Erzieher Ottos III., diesen herausgeben - wohl unter dem Vorwand, die Vormundschaft zu übernehmen, und ließ sich dann von seinen Parteigängern zum Gegenkönig wählen. Zu jenen Anhängern gehörte die Mehrheit des Episkopats, also der geistlichen Fürsten, darunter die Erzbischöfe von Trier, Köln und Magedeburg, aber auch weltliche Große gehörten dazu, so Herzog Bernhard von Sachsen, Herzog Bosleslav II. von Böhmen und Miseko von Polen . Übrigens machte sich sogar Lothar von Frankreich Hoffnungen auf den deutschen Thron. So war die tatsächliche Thronfolge Ottos III. und das ottonische Herrscherhaus überhaupt äußerst gefährdet. Doch zahlreiche Anhänger Heinrichs des Zänkers änderten zum Glück ihre Einstellung - vielleicht wegen der überzogenen Selbstherrlichkeit Heinrichs, andererseits war inzwischen die Kaiserwitwe Theophanu, eine ehemalige byzantinische Prinzessin und eine kluge sowie energische Frau, aus Italien zurückgekehrt, und es kam im Herbst 984 zur Bildung einer Vormundschaftsregierung mit Kaiserin Theophanu an der Spitze und dem Mainzer Erzbischof Willigis und dem Wormser Bischof Hildibald als Hauptberater. Übrigens gab Heinrich der Zänker Otto III. erst nach wiederholten Kämpfen und drei Reichsversammlungen heraus, freilich in der Hoffnung, sogleich das Herzogtum Bayern wiederzubekommen, doch dies geschah erst später. Aber Heinrich verhielt sich fortan loyal.

Nun, dass unter den geschilderten Umständen der Kanzlerschaft des treuen Hildibald eine ganz besondere Bedeutung zukam, ist eigentlich selbstverständlich. Daher seine großen Machtbefugnisse und daher die großzügige Schenkung. Warum aber erklärte er - natürlich in seiner Eigenschaft als Kanzler - das bewußte Waldgebiet zum Königswald? Nun, als pflichtbewußter und königstreuer Hofkanzler wollte er offensichtlich das zweifellos bereits vor der Urkundenausstellung üblich gewesene "wilde" Jagen der Wormser Bischöfe in unserer Gegend durch die königliche Schenkungsurkunde ein für allemal legalisieren lassen. Wie übrigens wäre man gerade auf unsere Region gekommen, wenn in dieser nicht schon vor der Urkunde die Wormser Bischöfe gejagt hätten? Und denken wir auch an unseren Ortsnamen! Schon unser leider verstorbener Heimatforscher Hans Benz betonte stets, dass bereits vor der Urkunde Beziehungen zwischen den Wormser Bischöfen und unserem Ort bestanden haben müssen. Diese Beziehungen waren aber offensichtlich nicht geistlicher bzw. kirchlicher, sondern jagdlicher Art. Vielleicht unternahm man beonders von hier aus Jagdzüge und übernachtete häufig hier, etwa in einer Jagdhütte oder im Ort. Wie aber verfiel man einst auf diese Gegend, wo doch der Odenwald vor der Wormser Haustür lag? Möglicherweise deswegen, weil der Kraichgau damals zugänglicher war. Dieser war ja auch deswegen schon von den Römern als Durchzugsgebiet bevorzugt worden. Dass übrigens Bischofsheim - zum mindesten aus den angedeuteten Gründen - bereits früh ein wichtiger Ort war, zeigt auch die Tatsache, dass in unserer Urkunde zunächst nur allgemein-zusammenfassend von den Wäldern um Wimpfen und Bischofsheim die Rede ist, bevor dann die Einzelbeschreibung mit anderen Ortsnamen folgt.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Solche Kopialbücher (d.h. Abschriftenbücher), in denen etwa die Schenkungsurkunden eines Klosters abschriftlich zusammengefaßt wurden, waren im Mittelalter gang und gäbe und stellen auch wichtige Geschichtsquellen dar. Die Echtheitsfrage wird dadurch nicht grundsätzlich berührt.
  2. Dass die Abschrift aus der mittelhochdeutschen Zeit stammt, wird übrigens aus der falschen Namenslautung Hildebald deutlich: Die richtige althochdeutsche Form lautete Hildibald, und so erscheint der Name auch in anderen Quellentexten und in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur. Die Echtheitsfrage wird auch hierdurch gewiß nicht berührt, denn es spricht ansonsten fast alles für die Echtheit des Urkundentextes.
  3. "in silvis circurn Wimpinam civitatem et villam Biscovesheim"
  4. Von lateinisch "rex" (Genetiv: "regis") = der König